"Unterwegs auf dem Jakobsweg oder zu sich selbst"

Viele Menschen haben bereits IHREN Jakobsweg beschrieben. Heute nun sollt ihr von MEINEM Jakobsweg lesen. Ich möchte euch ein wenig an dieser Faszination teilhaben lassen, soweit dies überhaupt möglich ist!


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Ursprünge und Pilgertum

Darüber liest man ja überall etwas. Darüber nur von mir zwei/drei Sätze, weil es dazu gehört. Der Jakobsweg ist ein alter Pilgerweg quer durch Europa und wird seit Jahren von engagierten Menschen immer mehr ausgebaut, auch hier in Deutschland. Letztendlich enden alle in Santiago de Compostela, am Grab des Heiligen Apostels Jakobus. Wie der Leichnam des Heiligen dort hinkam, ist in vielfältiger Weise dokumentiert und soll hier auch kein Thema sein. Die legendäre Entstehung des Jakobsweges durch Kaiser Karl den Großen soll auf Geheiß des Apostels geschehen sein. Karl der Große sollte auf seinem Spanienfeldzug den Weg zum Jakobusgrab von den Mauren befreien. Im Mittelalter löste das Pilgertum einen wahren Aufbruch aus. Klöster, Herbergen, Hospitäler, Gasthäuser und Kirchen entstanden am Weg. Für die Orte an den bekanntesten Jakobswegen bedeutete es den wirtschaftlichen Aufschwung und bedeutet es bis heute, eine sichere Existenz.

Der wohl Bekannteste ist der Camino Francès, der von Saint Jean-Pied-de-Port über die Pyrenäen nach Spanien und quer durchs Land dorthin führt. Die Entstehung dieser Route fällt in die erste Hälfte des 11.Jahrhunderts, als „hochmittelalterliche Hauptverkehrsachse Nordspaniens“ bezeichnet.
Die Muschel als Erkennungszeichen der Pilger ist ein sichtbarer Ausweis und wurde schon im Mittelalter als zweckdienliches Hilfsmittel mitgeführt. Man konnte damit zum Trinken Wasser schöpfen und sie auch für kleine Mahlzeiten als „Teller“ nutzen.
Der Jakobsweg ist kein Wanderweg wie jeder andere. Diesen Weg gingen seit dem Mittelalter Millionen von Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen, aber allen war sicher ein Wunsch gemein: Unterwegs zu sich selbst sein!


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Los geht’s mit einer kurzen Einleitung

Am 12.04.2010 bin ich um 10.00 Uhr von Saint Jean-Pied-de-Port gestartet. Meine erste Etappe wollte ich gemütlich angehen, die in den meisten Pilgerführern ausgeschriebene Strecke bis Roncesvalles entschärfen und nur bis Orison laufen. Völlig untrainiert war mir die Etappe über die Pyrenäen an einem Tag echt zu viel. Am nächsten Tag dann die Wanderung über den Gebirgszug war eigentlich eine sehr schöne Etappe, obwohl ich mir die Berge anders vorgestellt hatte. Grüne Hügel ohne Bäume, das entspricht nicht so meinen Vorstellungen von einem Bergpass. Trotzdem war es eine schöne Etappe. Das Wetter war nicht zu warm und nicht zu kalt. Ich traf ab und an Leute von der letzten Übernachtung und andere Pilger. In der Herberge in Roncesvalles lernte ich Petra kennen und wanderte bis zum 17.04. mit ihr und Maria. Beide verabschiedete ich mit Tränen in den Augen am 18.04., weil ich Probleme mit den Knien hatte und einen Tag pausieren musste. Nach einem Ruhetag humpelte ich, auf meine Stöcke gestützt, drei Tage allein durch die Landschaft. Ich traf dann auf einen Mann, der es gemütlich angehen ließ und scheinbar alle Zeit der Welt hatte. Ich begleitete ihn bis ans Ende der Welt, oder er mich, je nachdem, wie man es sehen möchte. Er war für mich das „Geschenk des Himmels“ und vielleicht die Begegnung und der Sinn meines Weges.

Mein Gepäck hatte mehr als die empfohlenen 10 Kilogramm! Soviel dazu. Aber ich hätte auch nichts weglassen können. Nur Wasser habe ich dann öfters mal eingespart, weil man sich doch an vielen Ecken damit versorgen konnte. Letztendlich gab es (im Nachhinein beurteilt) nur ein Kurzarmshirt und ein Paar Wandersocken, die ich hätte entbehren können. Der Rucksack saß so gut, dass ich damit überhaupt keine Probleme hatte. Und auch von Blasen blieb ich wieder verschont! Was mir kaum jemand glaubt, aber ich habe so zarte Füße, wie ein „Kinderpopo“, wenn man das mal so vergleichen will. Viele sagen aber, dass gerade solche „weichen“ Füße sehr empfindlich wären. Das mag wohl so sein, aber nicht bei meinen Füßen: Ich hatte noch nie Blasen in meinen Bergschuhen, obwohl diese recht schwer und eben berg- und steigeisentauglichen sind. Sie umhüllen meine Füße ohne Reibungspunkte wie eine „zweite Haut“.

Man muss als Frau schon ganz schön hartgesotten sein, wenn man so etwas unternimmt. Oder aber ich habe mir die falschen Unterkünfte ausgesucht. Auf jeden Fall gab es zwar überall warmes Wasser, aber nicht immer waren die Bedingungen so, dass ich hätte duschen wollen ohne mich zu ekeln, oder aber es waren einfach zu viele Menschen für die Anzahl der vorhandenen Duschen in der Herberge. Die Privatsphäre kann man in diesem Fall der Pilgerschaft eher der Relativitätstheorie unterordnen. Darauf sollte man gefasst sein.

 

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Der Weg

Ich will mal fast behaupten: Verlaufen unmöglich! Aber es kann trotzdem vorkommen, dass man manchmal nach Wegmarkierungen suchen muss oder aber unaufmerksam ist und dadurch vom Weg abkommt.
Seit dem letzten Jahrhundert hat der Jakobsweg als Pilgerweg an Bedeutung zugenommen und wurde zunehmend sicherer. Die Popularität kam in den letzten Jahren wohl auch durch die Veröffentlichungen in den Medien, sei es nun ein Buch eines bekannten Menschen (und hierbei möchte ich nicht unbedingt Hape Kerkeling erwähnen *grins*) oder Reportagen über berühmte Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben. Doch bevor der Medienrummel begann, sorgte bereits ein Geistlicher dafür, dass der Weg für die Wanderer sicherer wurde, indem er für die bessere Markierung des Weges sorgte. Elias V. Sampedro war Pfarrer in O Cebreiro (Galicien) und arbeitete gezielt an der Wiederbelebung der Jakobswallfahrt. Er führte in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die Kennzeichnung des Weges mit gelben Pfeilen ein, die heute genauso populär und überall anzutreffen sind, wie die gelbe Muschel auf blauem Grund. Aber auch die Muschelzeichen sind mittlerweile so bunt und vielfältig geworden, dass es einfach überall Muscheln gibt. Hier sind der Fantasie und der Kreativität der Regionen und Städte keine Grenzen gesetzt. Man findet Muscheln auch im Pflaster, auf Straßen, auf Gullideckeln, an Laternenmasten und als Zusatz auf Schildern und Wegweisern. Aber auch Privatpersonen schmücken ihre Häuser, Mauern und Zäune auf vielfältige Art und Weise. Komplettiert werden diese Markierungen mit Kilometersteinen, Hinweistafeln, Wegweisern und massenhaft gelben Pfeilen. Wegkreuze und Skulpturen vervollständigen das Bild. Jede Region hat da so ihre bestimmten Vorlieben.

Hinzu kommen die unterschiedlichsten Pilgerführer und Karten, die einem den rechten Weg zeigen sollen. Hier gibt es sicher qualitative und inhaltliche Unterschiede, die aber nur eine untergeordnete Rolle spielen. Hier bleibt es dem Nutzer überlassen, welches Material er sich in den Rucksack steckt. Eine gute Ergänzung zu dem Streckenverlauf und den Etappenvorschlägen sind die geschilderten Sehenswürdigkeiten und die Beschreibungen der Landschaften in solchen Reiseführern. Also kann man sich gut ausstatten. Und wenn man dann mit offenen Augen durch die Landschaft zieht, kommt man auch ohne Verirren ans Ziel.

 

 

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Eindrücke

Da sei zunächst Mal die Mentalität der Einheimischen genannt, die mir (mehr oder weniger) begegnet sind. Da ich eigentlich still sein und meine Ruhe haben wollte, zudem kein spanisch kann, konnte ich weniger mit Menschen reden, dafür um so mehr ihr Entgegenkommen und ihr Aufeinander-Zugehen beobachten und einschätzen. Allen Menschen, denen ich die Chance gegeben habe, mit mir in Kontakt zu kommen, haben mich nicht enttäuscht. Immer haben sie mit Händen und Füßen versucht, mich zu verstehen und mir bestimmte Dinge verständlich zu machen. Sie haben ihr Englisch und Deutsch hervorgekramt, um sich mit mir zu unterhalten. Ich hatte keine Probleme, mit meinem minimalen Wortschatz an spanisch und englisch alles zu erreichen.

Dass viele Kirchen verschlossen waren, hat mich schon sehr gestört. Aber ich konnte nichts daran ändern. Es ist halt nur schade, denn so schnell komme ich dort nicht wieder hin. Im Reiseführer stand zwar, dass in den meisten Ortschaften jemand ist, der einem die Kirche aufschließt. Aber welcher Pilger nimmt sich schon die Zeit, durch den Ort zu laufen, bis er jemanden mit dem Kirchenschlüssel gefunden hat, um dann wieder zurück zur Besichtigung der Kirche zu gehen.

Unterwegs habe ich mehrere Frauen getroffen, die an einer Studie der Sporthochschule Köln teilnehmen, in der es darum geht, inwieweit Frauen nach erfolgreicher Brustkrebsbehandlung und dann nach Absolvierung des Jakobsweges eventuell ein geringeres Risiko haben, wieder an Brustkrebs zu erkranken. Und zu meiner Schande habe ich mir nicht viel mehr dazu erklären lassen, nur, dass bereits vor zwei Jahren schon solch eine Studie durchgeführt wurde. Sechs verschiedene Frauen aus dieser Gruppe habe ich an verschiedenen Orten wieder getroffen und war erstaunt, was sie so alles auf sich nehmen. Ich habe sie allerdings nie darauf angesprochen, ob es ihnen, mit der hinter sich liegenden Behandlung ihrer Brustkrebserkrankung schwerer fällt, die Strecke zu bewältigen, als jedem anderen Menschen auf dem Weg, oder ob es einfach nur eine körperliche Belastung ist, die jedem Pilger bevorsteht, der sich auf den Weg macht. Klar spielen die Psyche, Glaube und Hoffnung eine große Rolle, aber ich fragte nie, ob ihnen das hilft, diese Strapazen zu ertragen. Jeder hat ja sein Motiv, warum er den Jakobsweg geht und jeder verspricht sich etwas davon. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder etwas über die Schicksale dieser Frauen erfahren werde, aber sie haben in mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und als ich fünf dieser Frauen am so genannten „Ende der Welt“ wieder traf, habe ich mich einfach nur für sie gefreut und ihnen alles Glück der Welt gewünscht.

Kurz vor Logrono macht eine ältere Dame seit vielen Jahren von sich reden. Dona Maria setzt das Werk ihrer Mutter fort, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die Pilger mit Essen und Trinken zu versorgen. Ihr Stand vor dem Haus war verweist, weil sie an diesem Tag die Pilger alle wegen dem unsicheren Wetter in ihr Haus bat. An dem langen Tisch saßen viele Pilger und machten immer wieder neu Ankommenden Platz. Es gab Kaffee, Tee, Milch, Baguettescheiben, Honig, Marmelade, Käse und süßes Gebäck. Sie machte kein Aufhebens um ihr Tun, schaute ab und an zur offenen Tür hinaus um Pilger herein zu bitten, setzte immer wieder Kaffee an und schaute, dass alles auf dem Tisch vorhanden war. Nebenbei zählte sie die Pilger, die vorüber zogen. Man bekommt einen Stempel von ihr, der etwas ganz besonderes darstellt. Ein Feigenblatt, Wasserkrug und ein Herz schmücken ihren Stempel und stellen Feige, Wasser und Liebe dar. Sie verlangt nichts, aber wer will, kann eine Spende in die kleine Schale auf dem Tisch legen. Eine tolle und lange Frühstückspause genossen wir bei dieser Frau in ihrer guten Stube.

Essen gab es in allen Bars und in jedem zweiten Ort gab es einen Laden, klein oder groß, das war egal, man konnte sich versorgen. Fast überall bot man abends in den Bars oder auch in den Herbergen Pilgermenüs an, die sehr reichhaltig waren und immer mindestens drei Gänge beinhaltete plus Getränk (Rotwein oder Wasser, manchmal beides). Anfangs habe ich mit meinen beiden Begleiterinnen abends Pilgermenü gegessen, das zwischen 8,50€ und 10,00€ kostete. Später dann habe ich mich mehr auf Baguette, Tomate, Käse, Oliven und/oder Kochschinken beschränkt, meist mit Rotwein aus dem Tetrapack ergänzt, der gerade für zwei müde Pilger als Schlaftrunk ausreichte. In manchen Herbergen wurde gemeinsam gekocht und gemeinsam gegessen, meistens für eine Spende.

Das allerschlimmste Ereignis war ein Sturm, der fast drei Tage anhielt und besonders in den frühen Morgenstunden saukalt war. Und das war genau in der Meseta, da konnte der Wind so richtig über das flache Land hinweg pfeifen. Das war eine Schau: Wenn man sich gegen den Wind gestemmt hatte, der fast die ganze Zeit von der rechten Seite blies, hörte er plötzlich kurzzeitig auf und man kam ganz schön ins Schwanken. Setzte er dann unvermittelt wieder ein, schubste er mich in die andere Richtung. So bin ich recht strauchelnd gelaufen, wie ein Betrunkener halt. Aber es erging allen Pilgern so und letztendlich haben wir nur noch gelacht, über uns selbst und manchmal auch über andere vor uns, wenn es sie fast in den Graben geschmissen hätte.


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Herbergen

Ja, über jede einzelne Herberge könnte ich eine ganze Seite schreiben, möchte mich aber kurz fassen. Kurz vor dem Abmarsch in Saint Jean-Pied-de-Port bekam ich im Pilgerbüro noch eine Broschüre zugesteckt, die mir die Kehle zuschnürte: Informationsmaterial über Bettwanzen. Wenn ich da nicht schon den Rucksack auf dem Rücken gehabt hätte, wäre ich wieder mit nach Hause gefahren. Das darf es doch nicht geben, oder? Ich war entsetzt. Mein erster Weg führte in die Apotheke, um mir was zum Einsprühen gegen Wanzen zu kaufen.
Es gab vier Herbergen, in denen die Betten so eklig schmutzig waren, dass ich die Matratze, meinen Schlafsack und mich vollständig eingesprüht habe, um mich vor Ungeziefer zu schützen. Zum Glück war ich immer so geschafft, dass ich trotz Wanzenungewissheit schlafen konnte. Und zum Glück hat mich keine Wanze auf dem ganzen Weg angebissen!

Es gab Unterkünfte für jeden Geldbeutel und jeden Geschmack, von der Massenherberge bis hin zum Einzelzimmer im Hotel, privat oder gemeindlich/kirchlich betrieben, neu gebaut, umgebaut oder in historischen alten Mauern. Jeden Tag musste ich mich überraschen lassen, was mich erwartete. Ich wollte bescheiden wandern, essen und auch übernachten. Also fiel die Auswahl als erstes immer auf die kirchliche-, gemeinde- oder städtische Herberge.
Die Preise lagen zwischen 3,00€ und 10,00€ pro Nacht. Und wie gesagt, gab es auch fünf Herbergen, in denen man für eine Spende übernachten konnte.


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Unterwegs

Es gab viele sehenswerte Ortschaften. Leider ist es mir unmöglich, in diesem Rahmen ausführlich und umfangreich zu berichten. Darum nur kurze Statements dazu. Größere Etappenziele hatten natürlich immer ihren ganz besonderen Reiz, so zum Beispiel:

----- Pamplona, die erste größere Stadt auf dem Weg. In dieser Stadt beeindruckte mich die Straße, in der jedes Jahr der Stierlauf stattfindet. Hier entlang zu laufen hatte schon was besonderes, auch wenn man für diese Art von Hobby überhaupt kein Verständnis hat. Aber auch Hemingway, der nicht nur als Büste vor der Stierkampfarena thront, rief Erinnerungen wach.

----- Burgos, eine wunderschöne Stadt mit einer ebenso bewundernswerten Kathedrale, blieb mir deutlicher im Gedächtnis als Leon. Sicherlich sind hierfür viele kleine Details in ihrer Summe schuld, dass es so ist. Unsere Herberge in Burgos lag direkt hinter der Kathedrale. Wir flanierten durch die Stadt, genossen Cafè con leche und Bier in Straßencafes und ich machte viele Fotos. Denn Burgos war die Stadt, die mit Abstand die meisten Skulpturen auf Plätzen und in Straßen stehen hatte, die mich immer wieder den Fotoapparat zücken ließen.

----- Portomarin, die Stadt, die einem Stausee weichen musste, bestand ursprünglich aus kleinen Ortsteilen. In den 50er Jahren wurde die Ortschaft terrassenförmig an den höher gelegenen Hängen aufgebaut und das alte Portomarin verschwand in dem steigenden Wasser des neuen Stausees. Nur wenige Gebäude wurden Stein für Stein abgetragen und in dem neuen Ort wieder originalgetreu errichtet. Am Gebäude der Kirche San Nicolas kann man noch die Nummerierung der Steine erkennen. Portomarin verließen wir über eine schmale, recht hohe Fußgängerbrücke, die ein tolles Fotomotiv abgab.

----- Leon beeindruckte mich eigentlich durch seine teilweise wieder restaurierten Stadtmauerteile. Aber auch hier war die Kathedrale der Anlaufpunkt vieler Menschen. Diese monumentalen Bauwerke beeindrucken mich mehr von außen, als von innen. Für den Innenraum bräuchte man eigentlich eine Führung, um ein wenig über die Fülle der architektonischen Meisterleistungen und massenhaften Kunstschätzen zu erfahren. Ansonsten spaziert man durch, fotografiert das, was einem als Betrachter gerade interessant erscheint. Auch in Leon gab es einige Skulpturen, so zum Beispiel ein sitzender Riese, auf dessen Handteller ich genügend Platz zum Sitzen hatte. Und der Architekt Antoni Gaudi saß höchstpersönlich seinem markanten Bauwerk (Casa Botines) gegenüber auf einer Bank und schaute in seine Unterlagen. Ich leistete ihm Gesellschaft und schaute ihm dabei über die Schultern.

----- Astorga erreichten wir erst um 17.30Uhr nach über 30 Kilometern, vollkommen ko! Allein dadurch erklärt sich schon, dass ich kaum noch was weiß, von dieser Stadt. Nur anhand meiner Fotos kann ich mich recht erinnern, wie die Stadt aussah. Natürlich habe ich auch die Kathedrale noch besichtigt, denn ohne dem geht es wohl nicht. Aber viel mehr hat mich auch hier Gaudis Bauwerk, der Bischofspalast begeistert. Wie ein verträumtes Märchenschloss steht er da und stiehlt meiner Ansicht nach der Kathedrale die Schau.

----- Logronò war eine Stadt, die mir wegen dem neuen Stadtteil am Ende der Ortschaft in Erinnerung geblieben ist. Und ein überdimensionales Würfelspiel in der Nähe der Kirche San Pedro erweckte mein Interesse. Auf ihm waren die bekanntesten Stationen des Jakobsweges als große Platten gepflastert, mit Gänsen dazwischen, welche die Spieler je nach gewürfelter Augenzahl bis hin nach Santiago de Compostela, dem Ziel, führten. Aber dazwischen warteten noch Hindernisse wie der Tod als Reitersmann auf dem Pferd, ein Gefängnis oder aber Leitern, die die Spieler nicht vorwärts, sondern zurück führten. Schade, dass dieses ganze Areal nicht auf ein Foto passte.

----- Das Cruz de Ferro erreichten wir danach, immer noch im Regen, von dem ich vollkommen enttäuscht war. Ich hatte mich nicht großartig auf die Sehenswürdigkeiten vorbereitet, die mir unterwegs begegnen würden und hatte somit das Kreuz auch noch nie auf einer Abbildung gesehen. Dass jeder Pilger einen Stein von zu Hause mitnehmen und dort als Symbol ablegen soll, das wusste ich und tat es auch. Aber der Steinhaufen erinnerte mich eher an ein Sammelsurium von Dingen, die Pilger los werden wollten. Für mich hatte dieser Ort nichts mystisches oder symbolträchtiges. Ich legte meinen Stein ab, fotografierte ihn und ließ mich neben dem Pfahl mit dem kleinen Eisenkreuz am Ende der Stange fotografieren, dann ging es weiter.

----- Manjarin, das wir einige Zeit später erreichten, war dagegen für mich schon viel interessanter. Die Hospitaleros sollen die letzten Templer sein, hört, hört! Gerade dort hörte es nach dem verregneten Aufstieg über Foncebadon zum Cruz de Ferro dann auf zu regnen. Als wir eigentlich noch mit Fotografieren der Außenanlagen beschäftigt waren, kamen plötzlich zwei Männer mit weißen Kapuzengewändern vor den Garten, um sich zu verneigen und um dann wieder, wie auf ein geheimes Zeichen, in den Innenhof zu marschieren. Genau da kam ein „Leibwächter“ oder „Bewacher“ und zeigte mit eindeutigen Gesten, dass Fotografieren nicht erwünscht war. Nachdem wir unsere „Corpus delikti“ verstaut hatten, durften wir auch in den Innenhof treten und würdevoll hinter den beiden, vor einer Muttergottesstatue betenden „Templern“ Aufstellung nehmen, um ebenfalls dieser ehrwürdigen Frau zu huldigen, oder zumindest respektvoll zuzuhören. Letztendlich war es die Zeit, die uns drängte, weiter zu ziehen, aber den Kopf schüttle ich noch heute über diese Inszenierung.


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Am Ziel

Genau nach 37 Tagen Wanderung und 38 Tagen Unterwegssein traf ich mittags in Santiago de Compostela an. Nach dem Einchecken in der Pilgerresidenz, ca. 3km vor dem Zentrum, wanderte ich mit meinem Pilgerkameraden in die Altstadt, um unsere Ankunft dort zu genießen und zu feiern. Erst als ich vor der Kathedrale stand, mindestens einmal drumherum gewandert und sie von allen Seiten im strahlenden Sonnenschein fotografiert hatte, konnte ich es fassen: Ich/wir waren angekommen!
Wir stellten uns in die Schlange der Wartenden, die durch die Heilige Pforte ins Innere der Kathedrale und zum Heiligen Jakobus gelangen wollten. Ich umarmte ihn und schwups- war ich wieder draußen. Wir suchten das Südportal, den Seiteneingang, um uns noch im Innenraum umzusehen und fotografierten uns mitsamt der Kathedrale und die die Null-Meile auf dem Vorplatz mit und ohne uns. Ich fühlte mich wie berauscht und so weit entfernt von zu Hause, mental, psychisch und physisch. Ich war happy, aber so richtig lässt sich dieses Gefühl gar nicht beschreiben. Ich war so lange weg von zu Hause, dass ich ein Eigenleben entwickelt hatte und trotzdem das tiefe Verlangen hatte, alle daran teilhaben zu lassen. Einfach unvorstellbar, dass ich 800 Kilometer gelaufen war, fünf und eine halbe Woche. Was fängt man an mit dieser Tatsache?

Als nächste Aktion folgte der Besuch des Pilgerbüros in der Rua Nova Nr. 1, um uns die Pilgerurkunden ausstellen zu lassen. Der Pilgerpass wurde kontrolliert, ob auch von wichtigen Etappenzielen die Stempel vorhanden sind und auch die Anzahl so ungefähr mit einem Marsch über diese Distanz mit den dazugehörigen Übernachtungen übereinstimmte. Dann gab es die Compostela, die Pilgerurkunde in Latein, selbst mit dem Namen latinisiert. Um dieses wertvolle Dokument zu schützen, kaufen wir uns gleich für 1,00€ eine stabile Rolle mit Deckel dazu und hatten somit fast alles erreicht. Nun fehlte uns nur noch die Pilgermesse, hoffentlich mit Schwenken des Weihrauchfasses.

Wir saßen lange auf der Praza de Quintana, beobachteten Pilger und redeten immer wieder über den Erfolg.

 

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Am Ende

Um ans Ende der Welt zu kommen absolvierten wir noch drei schwere Tage. Wir wollten es einfach in drei Tagen schaffen, weil danach schlechtes Wetter prophezeit wurde und wir mit diesen drei Etappen am Pfingstsonntag in Finisterre ankommen würden. Ist doch ein guter Termin, oder?

Es war heiß, und nicht immer kühlte ein laues Lüftchen. 24km, 32km und 31km bis Finisterre, dazu noch die rund drei Kilometer bis zum Kap, eine beachtliche Leistung! Mir sind diese drei Tage sehr positiv in Erinnerung geblieben, weil sie einfach erfolgten, nachdem man eigentlich schon den Erfolg in der Tasche hatte. Was soll’s? Jetzt konnte doch nichts mehr passieren! Selbst, wenn man den Weg nicht zu Fuß schaffte, macht das überhaupt nichts mehr. Und wenn wir nicht in drei Tagen da waren, dann eben in vier oder fünf! Das machte doch auch nichts mehr, denn ich hatte immer noch eine ganze Woche übrig!

Der Weg führte durch schöne Landstriche, kleine Ortschaften, über viele Hochebenen und am Ende entlang vieler Buchten, die uns letztendlich bis in den Ort Finisterra brachten. Dort trafen wir am Pfingstsonntag um 17.30 Uhr ein. Die Gemeindeherberge hatte noch Plätze für uns, wir bekamen die Urkunde für die Erreichung des Kaps und ruhten uns aus.
An einem Kiosk kauften wir Wein, Gebäck fürs Frühstück und in der nächsten Bar Bocadillo mit Käse (mit Käse belegtes Baguettebrötchen) zum Abendbrot. Und so zogen wir nach 19.00 Uhr los, dem Kap entgegen. Leider zog kurz vor unserem Ziel Nebel auf und meine Stimmung sank ein wenig. Doch kurz vor dem Leuchtturm, am Kilometerstein „0,000km“, trafen wir auf bekannte Pilgerfreunde. Dann kamen noch Frauen aus der Kölner Gruppe hinzu, so dass wir ein bunt gemischter Haufen waren, die sich laut und lachend unterhielten. Einfach einmalig und unvergesslich! Gemeinsam zogen wir zur Feuerstelle, verbrannten Kleidungsstücke, machten Fotos, prosteten uns zu, bestaunten und fotografierten die Lichtverhältnisse trotz Dunst und kamen dann allmählich zur Ruhe. Ein toller Felsenplatz diente uns als Couch. Von ihm aus beobachteten wir das bunte und ausgelassene Treiben hier am Kap und ich fotografierte, was das Zeug hielt.


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Rückkehr

Nach der Nacht am Kap picknickten wir noch am Kap und wanderten dann in der Stille des Morgens, gegen 8.00 Uhr zurück nach Finisterra. Der Tag am Atlantik war einfach toll und wir verbrachten ihn mit Strandgängen, Baden im Atlantik (ich nur mit den Füßen!), Muschelsuchen, Karten schreiben und Gesprächen mit anderen Pilgern. Abends machten wir uns wieder auf den Weg zum Kap, um noch einmal diesen grandiosen Eindruck auf uns wirken zu lassen. Und dieses Mal ohne Nebelhorn, aber noch weniger Sonnenuntergang als am Tag zuvor. Was soll’s?
Die Zeit bis zum Heimflug war sehr wertvoll, weil ich da schon einen Teil meines Pilgerdaseins in Ruhe abschließen konnte. Zwar wanderte ich jeden Tag die 3km rein ins Zentrum der Stadt und wieder hinaus in die Pilgerresidenz, aber ansonsten genoss ich die Ruhe und das Ankommen und die damit verbundene Freude anderer Pilger.

In Deutschland dann wurde ich von einem Teil meiner Familie mit Blumen und Transparent am Flughafen abgeholt. Kurz vor meinem Heimatort standen dann Freunde und Verwandte mit Sekt bereit, um mich zu begrüßen und mich zu Fuß die restlichen drei Kilometer nach Haus zu begleiten. Das war ein Spaß. Meine Enkel hatten quer durch die Landschaft Muschelzeichen angepinnt, die ich alle finden und einsammeln musste, damit ich mich auch selbständig wieder heim finde. Natürlich hatten sie auch ein Wägelchen mit Trinken und Essen dabei, so dass wir unterwegs auch picknicken konnten.
Und dann haben wir meine Rückkehr bis in die Nacht hinein gefeiert. Es gab echte Thüringer Bratwurst vom Grill, mein Leibgericht. Das war eine Wiedersehensfreude!
So schön kann ANKOMMEN sein!


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Fazit

Nun bin ich schon viele Jahre wieder zurück, stehe aber immer noch unter dem Eindruck des Weges. Was er mir gebracht hat? Was er bewirkt hat? Das kann ich ebensowenig genau beschreiben, wie den Grund, warum ich ihn überhaupt gegangen bin!

 

ABER ER WAR WERTVOLL!

 

Wertvoll in vielerlei Hinsicht:

----- Das allerwichtigste war die Erkenntnis, dass das Leben eigentlich und wirklich nur aus drei Grundbedürfnissen besteht, die erfüllt/befriedigt sein wollen. Daraus resultiert alles im Leben und wie das jeder gestaltet, hängt von ihm selber ab. Das Leben stellte sich für mich sieben Wochen lang folgendermaßen dar: ARBEITEN, ESSEN und SCHLAFEN! So profan ist das Leben, daraus ergibt sich alles andere! Meine Arbeit war das aufstehen, Klamotten packen und Laufen. Die nächste wichtige Frage, wo kann ich was einkaufen, was esse und trinke ich. Und als Letztes, wo kann ich schlafen, ein Dach überm Kopf. Und wie ich das gestalte, liegt an mir. Es hat keinen Zweck, über alles nachzudenken und Vorausdenken zu wollen. Planen ja, aber nicht alles und nicht jedes Ding bis ins Detail.

----- Denn man darf sich selbst nicht so wichtig nehmen. Es gibt viel wichtigere Dinge, wie andere Menschen, die Natur, das Erleben, Hören, Fühlen und Denken. Viele Menschen habe ich beobachten können, die mit Schmerzen und Problemen, Blasen und anderen Widrigkeiten zu kämpfen hatten. Auch Menschen in großer seelischer Not, Menschen, die den Weg aus Dankes- oder Bittgründen gingen. All das begegnet einem unterwegs und das eigene Befinden wurde ganz klein gegen den großen „Schmerz“, der hier unterwegs war. Um so mehr fielen Menschen auf, die so anders waren, die nicht zur Ruhe kamen, die wenig Zeit hatten, die zwar viel wissen oder aber mitteilen wollten, aber noch nicht gelernt hatten, still zu sein und zuzuhören.

----- Dieser Weg ist für mich eine Erfahrung, die ich nie wieder hergeben möchte. Man kommt an seine Grenzen, klar. Aber das ist gut so! Ich denke auch, dass jeder Mensch ihn gehen kann, aber nicht unbedingt muss. Denn was wäre, wenn alle durch Spanien wandern wollten? Wäre wohl ein bisschen eng *grins*! Deshalb ist es einfach nur wichtig, sich mal eine Auszeit zu nehmen, sich darauf besinnen, was eigentlich das eigene Leben bestimmt.

 

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Und der Jakobsweg ist überall, wo Menschen den Menschen neben sich und die Welt um sich herum bewusst wahrnehmen, aus ihrem Lebenswandel Zufriedenheit schöpfen, Dankbarkeit empfinden können und anderen eine Quelle der Freude sind. Hört sich jetzt sehr pathetisch an, aber so ist es!

 

Ich als "Pilgerschnecke"

Über die Dächer von Castrojeriz hinweg kann man den Weg von morgen sehen

Unterwegs nach Carrion de los Condes. Bei den vielen Wegmarkierungen ist verlaufen unmöglich

Der Riese in Leon bietet mir einen Sitzplatz an

Der Bischofspalast von Gaudi in Astorga

Manjarin - Die "Behausung" der letzten Templer. Der Mann davor ist keiner von ihnen, sondern mein Pilgerkamerad

Portomarin trohnt jetzt über dem Stausee

Santiago de Compostela begrüßt uns mit herrlichem Sonnenschein